Anna-Maria Friedel | 28. Oktober 2012
Mein Beitrag für Dieter Kieselstein
Es war im Frühsommer 2003, wohl beim letzten Marionettenbau- und Spielkurs, den Dieter Kieselstein auf dem Hof Lebherz gab, als wir uns begegnet sind.
Um es gleich vorauszuschicken: ich war wohl seine schlechteste, aber nicht unliebste Schülerin. Konfrontiert mit seinen detailgenauen Millimeterplänen, die Dieters Maschinenbauvergangenheit verrieten, war ich völlig überfordert – ich konnte sie einfach nicht lesen. Allerdings ergaben sich diesbezüglich freche bis theaterreife Dispute zwischen uns, und wir fanden zumindest an diesen verbalen Gefechten beide Gefallen. Revanchiert habe ich mich dann beim Marionettenspiel, indem ich (als Musikerin) nicht akzeptierte, dass eine Dirigenten-Marionette irgendwie dirigiert und keinerlei Kenntnis zeigt über korrekte Einsätze in die richtige Richtung oder ein Geiger an Fäden den Bogen so streicht, dass es beim Zuschauen bereits in den Ohren quietscht. Dies habe ich dann meinerseits detailgetreu, korrekt gespielt.
Spannend waren für mich Dieter Kieselsteins lebhafte Erzählungen aus seiner Vergangenheit, die er abends am Kamin bot: Seine Flucht als junger Mann von Ost nach West, seine diversen Berufe, die kargen Anfangsjahre als Puppenspieler … und dann die erfolgreichen beim Fernsehen. Und immer schimmerte beim Erzählen seine große Liebe zu Gisela, seiner Frau und Mitspielerin, durch, aber auch zum Sohn Benno und den Zwillingen Susanne und Gila. Da blitzten hinter Dieters rauher Schale ganz weiche Töne hervor, die er trotz seiner markanten Donnerstimme (die mir ewig im Ohr nachklingen wird) nicht verheimlichen konnte.
Von dieser wenig erfolreichen, aber heiteren Begegnung an haben wir gelegentlich E-Mails ausgetauscht, in denen er sich, zu meiner großen Überraschung, für seinen rauhen Umgangston entschuldigte.
Ich traf Dieter Kieselstein wieder, als ich das erste Mal bei einer vdp-Tagung, 2008 in Bottrop, war: da war er wieder mit seinem Einsatz für die Weiterentwicklung unser aller Figurentheater – der Politiker Kieselstein! Streitbar, aber integrativ. Ich ahnte, dass er mit seinem persönlichen Engagement, seiner Kommunikationsbegabung und seiner ihm eigenen Schlauheit und Gewitzheit (und nicht zuletzt mit seiner Donnerstimme!) ein wichtiger Motor in den Anfangsjahren des vdp gewesen sein muss.
Das letzte Mal traf ich Dieter im Mai 2009, als ich ihn mit seiner Tochter Susanne in Bochum besuchte. Trotz unserer „zwiespältigen“ Vorgeschichte hat er lange und intensiv die Fotos meiner beiden Stücke betrachtet und anerkannt, dass ich eigene Wege des Figurenbaus gegangen war.
Lieber Dieter, du wirst in meinem Gedächtnis und im Herzen als streitbarer, lebenszugewandter und äußerst mutiger Mensch mit einem einfühlsamen Herzen hinter einer rauhen Schale in liebevoller Erinnerung bleiben. Ich habe dich sehr geschätzt, mich an dir gerieben und dadurch viel von dir gelernt – vielleicht nicht das, was du intendiert hattest, aber etwas viel Reicheres! Deine Anna Friedel