Gerhard Seiler | 26. Oktober 2012

Erinnerungen und Begegnungen mit Dieter Kieselstein

Dieter Kieselstein und Martha Stocker

Dieter Kieselstein und Martha Stocker

Dieter Kieselstein lernte ich schon ein wenig durch die Erzählungen meiner Eltern kennen. Mein Vater Kurt Seiler gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Puppentheaterverbands VDP. Meine Mutter besuchte in Bochum die begehrten Lehrgänge bei Fritz Herbert Bross und traf dort immer wieder auf Dieter.

Später, nach dem Tod meines Vaters im Jahr 1973, änderte ich kurzerhand meine Berufspläne und wurde selber Puppenspieler, um damals die Bühne zusammen mit meiner Mutter weiterzuführen.

Eine besondere Freude waren für mich die jährlichen Verbandstagungen des VDP. Meistens fuhr ich gleich nach meinem weihnachtlichen Skiurlaub direkt zum jeweiligen Tagungsort. In den Sitzungen, in denen damals oft sehr stürmisch und heiß diskutiert und gestritten wurde mit Wortführer/innen wie P. K. Steinmann, Barbara Scheel, Martha Stocker und natürlich auch Dieter, passierte es so manches Mal, dass Dieter erregt rauslief und erst mal eine rauchen musste, um dann kurze Zeit später – besänftigt auch durch seine Frau Gisela – wieder reinzukommen. Und die Themendebatten segelten dann meistens wieder in ruhigeren Fahrwassern weiter.

Segeln, das war sowieso eine der großen Leidenschaften von Dieter und ein beliebtes Gesprächsthema zwischen Dieter und mir, waren wir beide doch begeisterte Katamaransegler … Dieter und Gisela segelten in holländischen Gewässern, während ich meinen Kat gerne zerlegt aufs Autodach wuchtete, um das Paradies für Surfer und Segler, den Gardasee, anzusteuern. Alte und jüngere Kollegen hörten dann staunend zu, wenn wir unser Seemannsgarn spannen. Weitere Themen waren unsere Campingreisen. Fuhr die Familie Kieselstein gerne nach Korsika, zelteten wir lieber in Dänemark, in Cornwall, in der Bretagne oder in den Alpenländern. Fragten wir dann Kollegen nach ihren Urlaubsreisen, schüttelten diese oft verständnislos den Kopf mit der Frage: „Urlaub? Was ist das???“ Leider, leider kam es nie zu einem gemeinsamen Katamarantörn, obwohl Dieter mich dazu nach Holland in den Wohnwagen einlud und mir einen Ritt im Trapez anbot.

Tja, an spezielle Fachgespräche über Figurentheater mit Dieter kann ich mich jetzt weniger erinnern. Dafür waren bei mir andere Kollegen zuständig wie Peter Röders und natürlich die Steinmanns, die mich nachhaltig mit Regiearbeit und Ausstattung bei meinen ersten Inszenierungen geprägt haben. Aber herrlich war es doch für mich, mit Dieter auf der gleichen Wellenlänge über gemeinsame andere Leidenschaften neben dem Puppenspiel zu fachsimpeln.

Und natürlich habe ich die Kieselsteine auch spielen sehen – und wie! Herrlich das Zebrastück, mit dem sie Furore machten. Wunderbar das filigrane Spiel mit seinen Solomarionetten, umwerfend komisch und sehr humorvoll die Gemeinschaftsinszenierung mit dem Ehepaar Elfriede und Fritz Leese: „Das Gespenst von Canterville“. Bemerkenswert und unvergessen auch die Gemeinschaftsinszenierung mehrerer Verbandsbühnen (natürlich auch mit den Kieselsteinen!): „Der Besuch der alten Dame“ anlässlich der Eröffnung eines der renommierten Braunschweiger Figurentheaterfestivals.

Anfang dieses Jahres nahm ich nach langer Zeit wieder Kontakt auf – per Email – und Dieter antwortete mit einem ausführlich und wunderbar geschriebenen, anrührenden Bericht über die vergangenen Jahre und sein gegenwärtiges Leben im Alter, über die Krankheit und sein Glück, seine Frau Gisela bei sich zu haben.

Ich habe nicht geahnt, dass dies sein Abschiedsbrief war.