Jens Welsch | 23. September 2012
Sechs Vitrinen für Kieselstein

Ingo Woitke, Dieter und Gisela Kieselstein, Jens Welsch bei Ausstellungseröffnung
Die meisten können sich unter Puppentheater etwas vorstellen. Aber nur wenigen ist bewusst, dass sie es hier mit einer besonderen Kunstform zu tun haben: Form, Farbe und Spiel müssen optimal zusammentreffen. Damit benötigt der Figurengestalter den Spieler, der aus in seiner Figur alle Möglichkeiten erkennt und sie aus ihr herausholt. Der Spieler braucht aber auch den Gestalter, der ihm die Figur als Instrument zum Erschließen der Möglichkeiten überhaupt gibt. Gestaltung und Spiel müssen zusammenkommen, um einen besonderen, unvergesslichen Ausdruck im Augenblick der Entstehung erzeugen zu können.
Der Ausstellungsaufbau lief geordnet chaotisch ab. Kartons, Puppenkoffer, Leitern, Klebeband? Wir hatten einen guten Tag Zeit, 14 Vitrinen zu bestücken und den Ausstellungsraum herzurichten. Das heißt: Im Schnitt sollten jedem Gestalter ein bis zwei Vitrinen gewidmet werden. Ingo Woitke sagte zu mir: „Jens, das kriegen wir so nicht hin. Für Kieselstein brauche ich mehr Raum“. Eine intensive Diskussion entbrannte, welchen Künstler man etwas reduzieren könnte. Ingo Woitke stellte sich als zäher Kieselstein-Verfechter dar – die Arbeiten des Meisters sollten in fünf Vitrinen ausgestellt werden! Heute bin ich froh, dass wir diesen Ausstellungsschwerpunkt so gesetzt haben. Denn wenn man die Kieselsteinsche Lebensgeschichte kennt, so erahnt man, dass man es mit einer sehr komplexen, Ideenreichen und wertvollen Persönlichkeit zu tun hat.

Tierfiguren von Dieter Kieselstein
Im Sommer 2010 führte der Marionetten-Freund Helmut Schmidt, Stuttgart, ein hochinteressantes Interview mit Dieter Kieselstein. Kieselstein berichtet hier, wie er, als gelernter Dreher, zum Figurentheater gekommen ist: Seine Frau, Kindergärtnerin von Beruf, hatte ihn zunächst gebeten, ihr eine das Figurentheater betreffende Kleinigkeit für den Kindergarten zu arbeiten. Bald darauf kam wahrscheinlich der wichtigste Anstoß für seinen weiteren Werdegang: Kieselstein besuchte im Keller des Gymnasiums eine Kasperaufführung – für Erwachsene! „Der Bauer als Millionär“ wurde von einem ostdeutschen Spieler gegeben. Gespielt wurde das Stück vom berühmten Carl Schröder. Kieselstein war vom Spiel Schröders sehr begeistert und wusste danach, wohin er gehörte. Ihn faszinierte, dass man sich beim Puppentheater vollständig – mit Haut und Haaren – einbringen konnte. So hatte Schröder beispielsweise den aufgehenden Mond mit seiner über die Spielleiste hinweg sich erhebenden Glatze dargestellt. Er fragte Schröder, wo man so etwas lernen könnte. Schröder schickte ihn nach Bochum, zum Deutschen Institut für das Puppenspiel. Dort sollte er bei Fritz Herbert Bross die Grundlagen der Marionette erlernen.

Kasper für verschiedene Spielformen
Der Herr Professor schritt, sich die Hände reibend, dozierend durch die Reihen. Er wunderte sich: Kieselstein hatte – anders als alle anderen – seine Ausführungen nicht mitgeschrieben. „Wollen Sie sich das nicht notieren –Herr Kieselstein?“ Kieselstein erwiderte: „Nein, was ein Kugelgelenk ist, dass ist mir (als Dreher) bekannt. Nur dass man ein Kugelgelenk bei der Marionette anwenden kann, das ist mir neu.“ Bisher war Kieselstein davon ausgegangen, dass man die Gelenke mit Lederstreifen und Schnürchen macht. Das Kugelgelenk war nun echte Technik. Wahrscheinlich ist dieser Moment der Begegnung mit Bross einer der Wesentlichen für seine weitere Entwicklung gewesen. Kieselstein, der Bross-Schüler, sollte bald selbst in Bochum dozieren. Er legte dabei viel Wert darauf, die abstrakten Brosśschen Ausführungen durch Modelle für Seminarteilnehmer anschaubar, begreifbar zu machen.

Grosses Interesse an den Technik-Modellen
Am 27. November 2011 fand die Ausstellungeröffnung mit gut 80 Besuchern in der Burg Hagen im Bremischen statt. Der Hase Cäsar alias Wolfgang Buresch begrüßte die Besucher, insbesondere auch die Kieselsteins. Der Ausstellungsschwerpunkt zu den Arbeiten von Dieter Kieselstein wurde sehr gut angenommen. Großes Interesse zeigten die Besucher auch an seinen Mechanik-Modellen. Diese manchmal unscheinbaren Modelle stellen einen besonderen Wert seines Schaffens dar. Ich glaube, Dieter Kieselstein war von der Ausstellung als Streifzug durch sein Lebenswerk angetan.