Bernd Wucherpfennig | 23. September 2012

Einige berichtenswerte Begebenheiten

Ich, Bernd Wucherpfennig, ehemaliger Schutzmann in den Diensten des Landes NRW, als Streifenbeamter, Wach- und Einsatzführer, Fachlehrer, Lehrgangsleiter für Verkehrserziehungsbeamte, Sicherheitsberater sowie Puppenspieler, schreibe einige berichtenswerte Begebenheiten in und während der Zusammenarbeit / des Zusammenwirkens mit dem Puppentheater „Kieselstein“ auf.

Puppentheater „Kieselstein“, bestehend aus

  • Mutter Gisela Kieselstein
  • ihrem Mann Dieter
  • einem VW-Bus
  • drei Koffern
  • vier Holzlattengestellen
  • schwarzem Vorhangtuch
  • tollen, lebensnahen, übergroßen Hand- und Stabpuppen (Marionetten)
  • Akkordeon
  • einem eisernen Drehfuß
  • Papierblock
  • Schreiber
  • und Stoppuhr!

Die zu berichtenden Aktivitäten ereigneten sich in den Aus- und Fortbildungsstätten der Polizei des Landes NRW …

  • Landespolizeischule für Technik und Verkehr in Essen (LPS TuV)
  • Höhere Landespolizeischule „Carl Severing“ in Münster (HLPS)
  • Polizeifortbildungsinstitut Neuss (PFI)

… in der Zeit von 1976 bis 2000, als mein Vertrag vom Land NRW nicht mehr verlängert wurde (Landesbeamtengesetz).

Deutschland war in den 70er Jahren das Land mit den höchsten Verkehrsunfallzahlen in Europa. Es waren alle Institutionen des Bundes und der Länder aufgerufen, dem entgegen zu wirken.

Das Land NRW reagierte

  1. 1975 durch die Einrichtung eines Lehrstuhles für Verkehrserziehung in der UNI/GHS Essen. Prof. Dr. Dr. Wolfgang Böcher (vorher Leiter des TüVs Rheinland) wurde berufen.
  2. Das Innenministerium NRW regelte durch Erlasse: a) Verkehrserziehungsbeamte in den Behörden zu installieren, die b) zur Durchführung erfolgreicher Prävention auch aus- und fortgebildet werden mussten c) und das in mehrwöchigen Lehrgängen an der LPS TuV in Essen.

So ergab sich notgedrungen eine Kontaktaufnahme zwischen Polizei und der UNI/GHS! Der kurze Weg zwischen LPS TuV und Uni/GHS in Essen ermöglichte die Absprache einer gemeinsamen Strategie. Prof. Dr. Dr. Böcher und seine Mitarbeiter waren sofort bereit, die Lehrpläne für die Lehrgänge der Verkehrserziehungsbeamten mit zu erstellen. Um einmal die pädagogischen und wissenschaftlichen Aspekte sowie die fächerübergreifenden und systemischen Ansätze vermitteln zu können. Das taten alle Mitarbeiter des Lehrstuhles sehr engagiert und nachhaltig. Sie erlebten als bald, dass ihr Fachwissen bei den Verkehrs- erziehungsbeamten auf viel besseren Boden fiel, als bei den Studenten und den Herren Lehrern (Pädagogen).

Für die Fortbildung der Polizeipuppenspieler war nach dem universitären Vorbild auch ein „über den Zaun gucken“ erforderlich, weil die Puppenspieler nur von eigenen Mitspielern – wenn überhaupt – angeleitet und/oder kritisiert wurden.

Ein externer Referent war bei der Polizei nicht erwünscht. In den Reihen der Polizei gab es immer Spezialisten nach dem Motto: Ein deutscher Offizier kann alles! Also wurde die Fortbildung selbst durchgeführt.

Durch die Lehrphilosophie des Lehrstuhles wurde nicht nur die UNI/GHS Essen beteiligt, sondern auch andere Experten. Wie:

  • Bundesanstalt für Straßenwesen
  • Bundesanstalt für Güterverkehr
  • Kultusministerium
  • Verkehrsinstitut Bielefeld
  • Gemeinde-Unfall-Versicherungsverband
  • Institut des deutschen Puppenspiels
  • ADAC
  • ACE
  • ADFC
  • Verkehrswacht
  • TüV
  • usw.

Diese Einleitung musste sein, damit Sie besser verstehen, dass wir bei der Fortbildung von Verkehrserziehungsbeamten der Polizei ein völlig neues, aufbauendes Aus- und Fortbildungskonzept erstellt hatten, was Grundlage der Fortbildungserlasse des Innenministeriums war.

Die ersten Lehrgänge wurden einberufen: 1978 auch ein Puppenspielerlehrgang. Damit Dieter Kieselstein eine Polizeipuppenbühne sehen und begutachten konnte, wurde im ersten Lehrgang eine Tagesveranstaltung geplant. Eine Bühne spielte ihr Stück vor Kindern. Dazu sollten Zaungäste – nämlich die Chefs der Puppenspieler – aus den Behörden eingeladen werden.

Gedacht getan: KV 4, ein zu verdunkelnder, großer Lehrsaal, wurde vorbereitet. Bänke für die Kinder, Stühle für die Chefs (es kamen 25 von 35 möglichen Chefs – 35 NRW-Behörden hatten damals Puppenbühnen –). Die Medienstelle der TuV installierte Kameras. Die Bühne der Behörde Essen wurde aufgebaut (Nato-Einheitsbühne der Polizei; besser: „Guckkastenbühne“ mit Oberbau, damit man die Kulissen und Vorhang einhängen konnte). Die Kinder, die Essener Puppenspieler, die Lehrgangsteilnehmer, die Kameramänner, die Chefs waren da –und Dieter Kieselstein mit Block, Bleistift und Stoppuhr!

Das Puppenstück wurde gespielt. Anschließend die Kinder befragt, beschenkt und in die Schule entlassen.

Zur Manöverkritik versammelten sich die Chefs sowie die Lehrgangsteilnehmer wieder im Lehrsaal. Da in der Einladung für die Chefs ein Berufspuppenspieler angekündigt worden war, wurde der Profi sofort in die Pflicht genommen. Dieter Kieselstein stellte sich vor und gab zum Besten, dass er sich mit dieser Mission erheblichen Ärger in seinem Berufsstand einhandeln würde, da er ja die Konkurrenz unterstützen würde. Konkurrenz, weil die Polizei die Kinder im Kindergarten und in der Grundschule bespielte. Also eine Einnahmemöglichkeit für die Berufsspieler ausblieb. Er wolle den Polizeipuppenspielern trotzdem auf die Sprünge helfen, da er der Meinung sei, dass Kindern nur das Beste vom Besten angeboten werden sollte, so auch Stücke zur Verkehrserziehung durch die Polizei.

Dann fragte er: „Wollen Sie die Wahrheit hören?“ Zögerliches Antworten: „Ja!“ Daraufhin analysierte der Profi das gesehene Puppenstück auf die Minute genau mit seinen Wahrnehmungen und kommentierte sie schonungslos, eindrucksvoll. Den Anwesenden blieb der Mund offen stehen. In Kurzform einige brisante Anmerkungen:

  • Es heißt Puppenspiel – nicht „Puppenstehen“
  • Die Puppen erzählen was sie tun – jeder sieht was sie tun
  • Fragen an die Kinder – werden von den Puppen beantwortet
  • 9 Minuten und 45 Sekunden war der Vorhang geschlossen
  • Der Verkehrsunfall war ein Hörspiel – nichts davon zu sehen
  • nicht zu erkennen war die dominante Figur auf der Spielleiste
  • Der Kasper war saublöd – eigentlich „Deus ex machina“
  • Gehört ein Kasper in ein Verkehrserziehungsstück?
  • Puppen stehen an der Spielleiste still – war dort der Textzettel zum Ablesen?
  • Stimmen der Puppen waren nicht zu unterscheiden
  • Hand- bzw. Armbewegungen der Handpuppen waren kaum erkennbar (Grund: Gekaufte Hohensteiner Kleinköpfe 11 cm )

Betroffenes Schweigen!

Aber auch der Versuch sich zu rechtfertigen – insbesondere die Puppenspieler, denen diese Aussagen bis ins Mark gingen. Ihr Chef versuchte seine Akteure in Schutz zu nehmen. Bis zu dem Zeitpunkt, wo angezweifelt wurde, dass ein Verkehrsunfall auf der Spielleiste dargestellt werden kann.

Diesen Zweifel behob Dieter sofort. Er ging hinter die Bühne, nahm sich den Peter auf die Hand und probierte ein/zweimal diese Handpuppe auf der Spielleiste aus. Nahm das Fahrrad dazu und fuhr in dem Guckkasten eine Runde, die zweite Runde. In der dritten Runde kam es dann zu dem Verkehrsunfall. Das Fahrrad flog in hohem Bogen in die Kulisse und der Peter stürzte mit einem Pirouettenüberschlag auf die Spielleiste, wo er verletzt liegen blieb.

Abermals betroffenes Schweigen.

Die dann folgende Aussprache ging sehr moderat weiter und es wurden Fragen gestellt wie:

  • Somit stampfen wir alle Puppenbühnen in NRW ein?
  • Was ist zu tun?
  • Wer hilft?
  • Wer bezahlt?
  • Gibt es Lehrveranstaltungen der Berufspuppenspieler?
  • Ist so etwas zu übernehmen?

Zusammenfassend ist von denjenigen – der Mehrheit –, die sich an der intensiven Aussprache beteiligt hatten, einstimmig gewünscht worden, die Polizeipuppenspieler im Sinne eines Berufsspielers ausbilden zu lassen. Nach welchem Lehrplan?

Nun war der Ball bei den Kieselsteinen. Der Blick über den Zaun war Wunsch und er wurde riskiert. Der Zaun stand zwischen Essen und Wattenscheid, denn da wohnte das Ehepaar Kieselstein. Sie mussten nicht lange überredet werden!

Wir, Gisela und Dieter Kieselstein, das Innenministerium, die Uni Essen und die Lehrgangsleitung, haben sodann begonnen, einen sinnvollen und alle Defizite behebenden Lehrplan für die Puppenspielerteams auszuarbeiten.

Schwierig war es, den Etat eines drei Wochen dauernden Lehrganges im Ministerium genehmigt zu bekommen. Aber es klappte und wir fingen mit den Kieselsteinen an!

Ab 1978 fanden alle Verkehrserziehungslehrgänge im Schloß Schellenberg – einer weiteren Außenstelle der LPS TuV – statt, da die Norbertstraße aus allen Fugen platzte.

Um den Lehrgangsteilnehmern (auch aus anderen Bundesländern, wie z.B. Bayern, Niedersachen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, später auch Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern) Profispiel zu zeigen, war in jedem Lehrgang eine Sichtvorstellung des Puppentheaters Kieselstein eingeplant.

So auch im Lehrgang August 1980. An diesem Lehrgang nahmen zwei Beamte aus Schleswig-Holstein teil und zwei Kindergärtnerinnen aus Bochum. „Karin“ hieß das Stück. Es wurde vor den Kindergartenkindern der beiden Kindergärtnerinnen gespielt.

„Karin“ ist ein Stück, das das Thema Kindesmissbrauch behandelt.

Nachdem das Spiel beendet war, gingen einige Lehrgangsteilnehmer mit den Kindern in den Schlosspark, um mit ihnen über das Puppenstück zu sprechen und dem Bewegungsdrang nachzugehen. „Einige“ war deshalb zu erwähnen, da andere Lehrgangsteilnehmer sich um die Erzieherinnen kümmerten, da die beiden, in Tränen aufgelöst, um ihre Kinder bangten! Denn im, während und nach dem Spiel taten sich insbesondere zwei Lehrgangsteilnehmer bei den Erzieherinnen groß hervor, indem sie ihnen eine „Körperverletzung“ gegenüber den Kindern einredeten und „Anzeigenerstattung“ empfohlen.

Die Diskussionen daraufhin waren heftig und langwierig, jedoch ohne sinnvolle Kompromisse bzw. Einigungen. Um den Nährboden der Körperverletzung nicht dem Zufall zu überlassen, setzte ich mich sofort noch mit Professor Böcher in Verbindung, um Schaden abzuwenden. Er sah das Ganze gelassen und machte den Vorschlag, dass er am nächsten Tag seine beiden Psychologen Dr. Reiter und Dr. Geiler in den Kindergarten schicken würde, um bei den betroffenen Kindergartenkindern psychische und/oder physische Schäden abzuklären. So geschah es dann am nächsten Tag. In Einzelgesprächen der Psychologen mit den betroffenen Kindern stellte sich nach objektiver Analyse der Uni-Mitarbeiter heraus, dass die Kinder niemals so dumm sein wollten wie die Karin und immer „nein“ sagen oder ihre Eltern fragen würden. Ergebnis für die Erziehrinnen und Lehrgangsteilnehmer sehr beeindruckend. Und der Lehrgang nahm seinen normalen Verlauf.

1981 — Wechsel von TuV Essen zur HLPS „CS“ nach Münster (Gleiches Aufgabengebiet)

Drei Wochen Lehrgang an der HLPS in Münster, 1984: Es begab sich, dass zu diesem Lehrgang auch das Team der Behörde Essen geschickt wurde. In Erinnerung an die Sichtvorstellung in Essen, hatten die Kieselsteine vorgeschlagen, die Essener abermals vorspielen zu lassen, um die Weiterentwicklung bzw. Verbesserungen zu erkennen. Als die Lehrgangsteilnehmer eintrafen, waren die, die in Essen vorgespielt hatten, gar nicht da. Ein völlig neues Team war angereiste. Sie erklärten sich aber einverstanden vorzuspielen, obwohl ihnen bekannt war, dass das ehemalige Team von Dieter in Essen auseinander genommen worden war. Die Enttäuschung für das neue Puppenspielerteam wiederholte sich, da sie – wie alle Polizeipuppenspieler bisher – von den alten Hasen alles übernehmen mussten!

Obwohl die Essener Puppenspieler noch Nachwirkungen zeigten, wurde der nächste Lehrgangstag ein besonderer: Im Lehrgangsprogramm war eine Vorstellung der Kieselsteine in der Grundschule nebenan angesetzt. Es wurde das Stück „Karin“ gespielt (siehe oben)!

Alle Lehrgangsteilnehmer verfolgten, wie die Kieselsteine ihre Bühne aufbauten und ihren Auftritt vorbereiteten: Mit Anfahrt des VW-Busses, dem Entladen und dem Aufbau. Hier gingen für alle Lehrgangsteilnehmer die Augen gar nicht mehr zu, denn es gab viel Neues zu sehen:

  • Bühne ohne Vorhang
  • drei Meter breit (Panorama)
  • zwei Spielleisten übereinander
  • keine Mikrophone und Lautsprecher
  • bewegliche Kulissen, da auf Dreifuß drehbar
  • Spitzlicht mit weißen Lampen von außen
  • Puppen so groß, dass sie von jedermann erkannt und gesehen wurden
  • Requisiten einfach und praktisch

Die Spannung des Spielstückes „Karin“ gipfelte in der Demaskierung des Stückes. Das hieß: Gisela schob die Bühnenverkleidung zur Seite und trat mit der Puppe Karin auf der Hand vor die Bühne und sagte: „Ich habe keine Lust mehr so ein dummes Mädchen zu spielen!“ Großes Erstaunen bei den Kindern und den Lehrgangsteilnehmern. Die Diskussion über Karin und ihr Verhalten war aber sofort im Gange, mit guten Argumenten der Kinder nicht in eine solche Situation zu kommen oder es gar nicht zuzulassen.

Die Demaskierung sowie die sich dann ergebende Aussprache hatte große und besondere Wirkung auf das Essener Team. Denn am nächsten Morgen standen die drei vor den Kieselsteinen und bekundeten, dass sie hier im Lehrgang gerne ein neues Stück schreiben und einüben wollten!

Das kam auch den anderen Lehrgangsteilnehmern zu gute, insbesondere denen, die nicht gewerkschaftlich organisiert waren und somit nicht um 16:00 Uhr gemäß der gewerkschaftlichen Vorgabe Feierabend machen mussten. Alle Lernwilligen konnten mit den Kieselsteinen bis in die späten Abendstunden gemeinsam schreiben, probieren und üben, üben, üben!

Verbunden mit der Zusage der Kieselsteine war die Frage an das Team sowie die Interessierten: „Was wollt ihr?“ Das Team antwortete: Wir wollen nicht:

  • Geschichten von Gut und Böse
  • Mit dem Kasper spielen
  • Die Hohensteiner Puppen auf der Hand haben

Also wurde alles Bisherige über Bord geworfen und ein Stück völlig neu konzipiert. Geschrieben wurde eine reine Verkehrserziehungsgeschichte. Die Demaskierung mit eingearbeitet. Größere Puppen, sinnvolle Kulissen und praktische Requisiten wurden angedacht, entwickelt und erstellt. Das pädagogische Prinzip der Wiederholung eingearbeitet. Umgesetzt durch sinnvoll wiederkehrende aber auch unterschiedliche Situationen auf der Spielleiste. Besonders beachtet und herausgearbeitet wurden die Fragen der Puppen an die Kinder während des Spiels. Zum Beispiel wenn eine Puppe Hilfe brauchte. (Vorformulierte Fragen festgelegt und vermerkt; aushalten bis zur Beantwortung – also Geduld –) Im Drehbuch wurde versucht nicht so viel Sprache vorzugeben. Bisher war es üblich, wenn der Kasper zur Ampel an die Kreuzung ging hat er es den Kindern gesagt, obwohl jedes Kind sah, dass der Kasper zur Ampel ging. Das war auch beim Üben und Probieren eine große – große Umstellung für die Puppenspieler. Nicht das zu besprechen, was die Puppe auf der Spielleiste machte. Revolutionär war die Demaskierung. Nur das Essener Team wendete diese Besonderheit an. Es ermöglichte die sofortige Einbindung und Information der anwesenden Eltern. Denn Mitte der 80er wurde die Elternarbeit (bundesweites Programm: „Kind & Verkehr“) in der Vordergrund gestellt, da Kindergarten, Schule und auch die Polizei nie so lange mit den Kindern zusammen sein konnten wie die Eltern! Also sollten die Eltern in die Lage versetzt werden, 365 Tage im Jahr Verkehrserziehung mit ihren Kinder zu machen. Nachdem die Essener ihr Verkehrserziehungsstück perfektioniert hatten, inklusive Elternarbeit, war in den folgenden Lehrgängen eine Hospitation bei der Essener Bühne Pflicht.

In der Zwischenzeit waren sehr viele Polizeipuppenspieler sehr begeistert, den Blick über den Zaun zu machen. Sie hagen sich gegenseitig besucht. Erfahrungen wurden ausgetauscht und neue Ideen besprochen. Diese Öffnung in den eigenen Reihen war auch wieder veranlasst durch die Kieselsteine, da sie bei jeder Gelegenheit auf Veranstaltungen ihrer Zunft aufmerksam machten, wie z.B.

  • „Fidena“ in Bochum
  • „Pole Poppenspäler Tage“ in Husum
  • „Tage des deutschen Puppenspiels“ in Gelsenkirchen

In all diesen Veranstaltungen waren Polizeipuppenspieler. Sie gaben sich bei den Profis zu erkennen und machten reichlich Beute beim Zuschauen oder im Gespräch mit den Akteuren. Ideen, Techniken, Puppenführung, Requisiten und vieles mehr wurde mitgenommen und in der eigenen Bühne umzusetzen versucht. Ein Verdienst der Kieselsteine!

Anatol (bürgerlicher Name: Karl-Heinz Herzfeld), der „Kinderschutzmann von Düsseldorf“ und Meisterschüler von Josef Beuys, war im Lehrgang an der LPS TuV und hat mit als Erster darauf reagiert, dass der Kasper nicht die Hauptfigur (Deus ex machina) in einem Verkehrserziehungsstück sein kann.

Er stellte um, indem er selber nicht mehr die Puppen führte, sondern das Moderatorenspiel praktizierte. Er selbst agierte in Uniform vor der Bühne, und sein Partner führte die Puppen auf der Spielleiste.

Durch diese Art des Puppenspielens zu zweit – Anatol nannte es „Puppentanz“ – kam bei den Polizeipuppenspielern im Land NRW der Begriff „Anatolismus“ auf.

Er hätte das Land NRW überzogen, wenn die Düsseldorfer den bundesweiten Wettbewerb während der Bundesgartenschau 1979 in Bonn gewonnen hätten. Glücklicherweise sind nur drei Puppenbühnen mit Preisen bedacht worden, so dass jede teilnehmende NRW-Bühne vierte wurde. Trotzdem war der Kinderschutzmann von Düsseldorf immer im Unterbewusstsein aller Puppenspieler, so dass es brodelte. Als Lehrgangsleiter machte ich mir diesen Umstand zu nutze und lud Anatol zu den folgenden Puppenspielerlehrgängen ein.

Somit wurden alle teilnehmenden Puppenspieler mit Anatol konfrontiert, und es konnte sich jeder ein eignes Bild machen. Die Gerüchte verstummten. Ähnliches war bei Dieter zu beobachten, da er auch daran zweifelte, dass Anatols „Puppentanz“ etwas anderes sein sollte als Dieters „Puppenspiel“.

Der nächste Lehrgang kam, und es war der Tag geplant, wo Anatol und Dieter ein Streitgespräch über „Puppentanz“ kontra „Puppenspiel“ durchführen sollten. Die Lehrgangsteilnehmer waren Publikum.

Zwei Stunden lang wurden Hypothesen, Thesen, Behauptungen, Argumente, Beweise usw. ausgetauscht und widerlegt. Dem Publikum wurde schon Angst und Bange, ob da nicht gleich eine tätliche Auseinandersetzung drohte?

Nein.

Zwischen Künstlern wird nun mal hart-burschikos-beleidigend-demagogisch-leidenschaftlich über sie bewegende Themen oder Fragen gestritten, diskutiert und auseinander gesetzt. Die Überraschung – besser: der Stein – fiel allen Beobachtern vom Herzen, als sie sahen, dass beide Streithähne sich umarmten und gemeinsam zum Gläschen Bier in die Kantine marschierten. Für die Puppenspielerei in der Polizei war das abermals ein Anlass, sich nicht mit dem Übernommenen zufrieden zu geben, sondern mit ihrem Tun sich auch im Team auseinander zu setzen und Besseres zu versuchen. In vielen Bühnen gab es dadurch erhebliche Veränderungen:

  • Wechselte von Hohensteiner Handpuppen zu selbstgemachten Hand- und Stabpuppen
  • Polizeihund „Wuschel“ hielt Einzug auf den Spielleisten
  • Viele entsorgten die Nato-Einheitsbühne und bauten sich eine Panoramabühne nach Vorbild Kieselstein
  • Tischbühnen fanden auch Eingang
  • Omibusse wurden zu Puppentheatern umgebaut
  • Den größten Sprung in die Professionalität schafften die Behörden, die sich eine stationäre Wirkungsstätte schufen (Bühnenraum sowie Aufenthaltsraum, in dem die Elterngespräche stattfinden)
  • Der Technik wurde große Bedeutung beigemessen
  • Durch den Puppenbühneneinsatz war es einfacher die Eltern mit einzubeziehen (Tagesveranstaltung)

Ein weiteres Erlebnis mit dem Theater Kieselstein war eine Vorstellung in Dormagen. Dorthin wurde der Lehrgang mit dem Polizeibus gebracht, um sich „Hund bleibt Hund“ anzusehen. Ein sehr kurzweiliges Puppenstück, wo in der Schlussszene alle mitspielenden fünf Hunde auf der Spielleiste erschienen und Resümee zogen. Für die Polizeipuppenspieler war es ungewöhnlich und erstaunlich, was sie sahen. Wie kamen denn die fünf Hunde auf die Spielleiste? Wie konnte das sein? Denn Gisela und Dieter waren allein in der Bühne bzw. unter der Spielleiste. Also zwei Mal zwei Hände sind vier Figuren und nicht fünf. Aufklärung fand statt, indem Dieter nach der Veranstaltung nochmals allein in die Bühne ging und mit drei Hunden auftrat. Hinter den Vorhang geschaut, stand Dieter mit zwei Hunden auf den Händen und einem Hund auf dem Kopf da. Selbstverständlich eine besondere, auf den Kopf passende, gleich aussehende Extraanfertigung, da der Hund ja im Stück schon aufgetreten war und in der Schlussszene nicht fehlen durfte.

Damit komme ich zu den Besonderheiten des Puppentheaters Kieselstein, die von vielen Polizeipuppenspielern für ihre Puppenbühnen übernommen wurden:

  • Eigene Ideen
  • Eigene Musik
  • Eigene Stücke
  • Eigene Werkstatt
  • Eigenes Werkzeug
  • Eigene Materialien
  • Eigene Technik
  • Eigene Konstruktionen
  • Puppenbau in Perfektion, insbesondere Marionetten usw.

Wie oben schon erwähnt, Puppen gleichen Aussehens, um z.B. die Puppen nicht wechseln zu müssen, sie von rechts und links auftreten zu lassen sowie weitere Überraschungseffekte zu bewirken.

Gleiches gilt für die Ausgestaltung der Bühne:

  • Panoramabühne
  • schwarze Abdeckung
  • keinen Vorhang
  • dafür zwei Ebenen der Spielleiste
  • einen Dreifuß als Ständer für Kulissen
  • die von den Puppen beim Auftritt bzw. Abtritt mitgenommen wurden, um ein neues Bühnenbild zu haben, da der Dreifuß das Drehen erlaubte
  • mit weißem Spitzlicht von außen vor den Spielleisten
  • ohne weitere Technik

Als letzter Bericht über die Kieselsteine ist meine Verabschiedung aus dem Dienst des Landes NRW dran: Gisela und Dieter erschienen – und zwar mit ihrem Podium, auf dem die verschiedensten Kieselstein-Marionetten brillierten. Es war eindeutig der Höhepunkt der Darbietungen zu meiner Abschiedsfeier. Es ergab sich daraus auch ein sehr langes bis Mitternacht währendes Zusammensein mit anderen sich noch in Amt und Würden befindenden Puppenspieler und Puppenspielerinnen. Die wiederum von den persönlichen Gesprächen und der damit verbundenen Motivation profitierten. Auch ein Dresdener Marionettenspieler. Er spielt sein Verkehrserziehungsprogramm mit der Marionette „Poldi“ und ist so begeistert gewesen, dass er sofort anfing seine Fähig- und Fertigkeiten mit Poldi zu perfektionieren. Der Vollständigkeit halber muss ich noch nachreichen, dass in NRW auch ein Beamter mit der Marionette „Kleiner Putz“ die Kinder zu begeistern wusste.

Mein persönliches Resümee: Ohne die engagierte, künstlerische, fachliche und menschliche Anleitung, Ausbildung und Überprüfung von Gisela und Dieter Kieselstein hätte das Puppespiel der Polizei in NRW nicht mehr lange Bestand gehabt. Es ist ihnen zu verdanken, dass sich die Polizeipuppenbühnen insbesondere in NRW stabilisierten (ja zum Hit wurden)! In der Blütezeit hatten 36 Behörden Puppenbühnen im Einsatz. Als Medium zur Imagepflege sowie für nachhaltige Prävention im Verkehrs- und Kriminalbereich!

Was heute noch der Fall sein sollte.